Rt SCHMOKY Wetiflar, 10.im Lethemond a.U.138 der vom Hinterlande 335. WETIFLAR
Die Wetzlarer Rittertafel und die Schlaraffia
(nach Ausführungen Rt Recurs (Praga) v.16.i.Lenzmond a.U.73, sowie: Heinrich Goel: 'Was schrieb Goethe in und über Wetzlar ?', Wetzlar 1922, Heinrich Mignon [Rt Sir Henry]: 'Goethe in Wetzlar', Wetzlar 1972, 'Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins')
Schlaraffen hört ... !
Der 22 jährige Johann Wolfgang Goethe kam am 10. Tage des Monats Mai nach Wetzlar, weil er hier einen juristischen Kursus am Reichskammergericht durchlaufen sollte, der ihn schließlich zum 'Reichsdienst' befähigte -so war es der Wunsch seines Vaters, des kaiserlichen Rates Johann Kaspar Goethe und seines Großvaters Textor, die beide diese Ausbildung gemacht hatten-. In der Matrikel der Reichspraktikanten am RKG trug er sich erst am 25. d.M. ein.
Als Praktikant hatte er das Recht, den Sitzungen und Verhandlungen des Gerichtes beizuwohnen; Obliegenheiten oder pflichtgemäße Arbeiten erwuchsen ihm dadurch nicht. Deshalb sind dokumentarische Spuren von ihm in den Archiven des RKG nicht nachweisbar.
Es ist bekannt , daß er die Juristerei nicht gerade liebte, was durch die schwerfällige Arbeit des Gerichtes noch verstärkt wurde.
Im 12. Buche von "Dichtung und Wahrheit" schreibt Goethe von seinem beabsichtigten Aufenthalt in Wetzlar, daß er sich in der " ..... zwar wohlgelegenen, aber kleinen und übelgebauten ", .... wie eng- und steilgassigen Stadt nicht besonders wohl fühlen könne (Wetzlar hatte zu jener Zeit [1771/72 ] nur rund 4000 Einwohner ).
Er schreibt: " Allein wie verwundert war ich, als mir anstatt einer sauertöpfischen Gesellschaft ein drittes akademisches Leben entgegensprang. An einer großen Wirtstafel traf ich beinah' sämtliche Gesandtschaftsuntergeordnete. (...) Sie stellten nämlich mit Geist und Munterkeit eine Rittertafel vor. Obenan saß der Heermeister, zur Seite desselben der Kanzler, sodann die wichtigsten Staatsbeamten; nun folgten die Ritter nach ihrer Anciennität. Fremde hingegen, (...), mußten mit den untersten Plätzen vorlieb nehmen. (...) Einem jeden war ein Rittername zugelegt mit einem Beiworte. Mich nannten sie Götz von Berlichingen, den Redlichen. (...)
Bei den Treffen) konnte man keinen ernsten Zweck bemerken; es war ihm bloß zu tun, die lange Weile, (...), zu erheitern und den leeren Raum, (...), auszufüllen. Übrigens wurde dieses fabelhafte Fratzenspiel mit äußerlichem großen Ernst betrieben, ohne daß Jemand lächerlich finden durfte, wenn eine (...) Mühle als Schloß, der Müller als Burgherr behandelt wurde (...).
Der Ritterschlag selbst geschah mit hergebrachten, von mehreren Ritterorden entlehnten Symbolen. Ein Hauptanlaß zum Scherze war ferner der, daß man das Offenbarte als ein Geheimnis behandelte; man trieb die Sache öffentlich und es sollte nicht davon gesprochen werden. Die Liste der sämtlichen Ritter ward gedruckt (...).
In dieses Ritterwesen verschlang sich noch ein seltsamer Orden, welcher philosophisch und mystisch sein sollte und keinen eigentlichen Namen hatte. Der erste Grad hieß der Übergang, der zweite des Übergangs Übergang, der dritte des Übergangs Übergang zum Übergang und der vierte des Übergangs Übergang zu des Übergangs Übergang. (...) Die Beschäftigung mit diesen Dingen war der erwünschte Zeitvertreib. (...) "
Jeder Schlaraffe , der diese Worte aus "Dichtung und Wahrheit" liest, erkennt, daß dieser Ritterorden zu Wetzlar eine gewisse Ähnlichkeit mit Schlaraffia besitzt, und zwar zum mindesten was den äußeren Aufbau anbelangt. Vor allem die Bezeichnung Ritter und Rittertafel, ferner die Einrichtung der Würdenträger, der Heermeister, der Kanzler, wichtige Staatsbeamte und Ritter, Fremde, die mit den untersten Plätzen vorlieb nahmen, erinnern auffallend an die Oberschlaraffen, an den Kantzelar, die anderen Würdenträger, die Ritter und die Pilger der Schlaraffia.
Die Rittertafel versammelte sich regelmäßig zum Mittagsmahle oder vielmehr die Mittagessen fanden in der Form der Rittertafel statt.
Wichtiger als die Feststellung der äußeren Symbole ist die Ergründung des Wesens dieser Rittertafel zu Wetzlar. Um diese zu tun, ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, wo und in welcher Zeit diese Rittertafel gegründet wurde und wo sie bestand, wer der Gründer dieser Rittertafel war und wer die Teilnehmer.
Die Zeit der Rittertafel fällt in das Jahr 1771, in die Zeit der größten und unwürdigsten Kleinstaaterei Deutschlands. Goethe spricht in "Dichtung und Wahrheit" ausführlich über die Zeitverhältnisse. Zu Wetzlar bestand seit 1693 das Reichskammergericht. An diesem höchsten deutschen Gericht sollten 50 Assessoren angestellt werden. Man begnügte sich aber mit der Hälfte, weil der Aufwand zu groß schien, und die Besoldungen nicht aufzubringen waren. Infolgedessen versagte das Reichskammergericht nach allen Richtungen. Die Gerichtstätigkeit litt vor allem an dem mangelnden Zusammenhalt des 'heiligen römischen Reiches deutscher Nation'. Manche Prozesse schleppten sich über 100 Jahre hin, und ein geflügelt Wort der damaligen Zeit, für Dinge die lange dauerten, besagte:
"Es hangt so lang wie ein Spruch in Wetzlar"
Es häuften sich die unseligen Reste der Prozesse, bis Kaiser Joseph II. (*1741 +1790, Ks. seit 1765) seine Aufmerksamkeit auf diese Übelstände richtete und eine Revision beauftragte. Seit 166 Jahren war keine ordentliche Visitation zustande gebracht worden. Deshalb versammelten sich zu Wetzlar eine große Zahl von Assessoren und Vertretern der einzelnen deutschen Regierungen, welche jedoch mit den Arbeiten sich nicht besonders beeilten und ihre Zeit mit allerhand Fröhlichkeit vertrieben.
Als Goethe im Jahre 1772 nach Wetzlar kam, fand er die Legationssekretäre und andere junge Leute, die im Gasthaus "Zum Kronprinzen" gegenüber dem altehrwürdigen (- mittlerweile 1100 Jahre alten [1997] -) Dome auf dem Buttermarkt zu Mittag speisten, zu der oben erwähnten Rittertafel "mit studentischer Laune und Munterkeit" vereint.
Der Gründer dieser Rittertafel war der braunschweigische Gesandtschaftssekretär August Siegfried von Coué. Er war, so wird in vielerlei Schriften berichtet, ein Vereinsmeier, ein wilder Geselle voller närrischer Einfälle, nicht ohne einen Anflug von Genie, der sich aber später zu Tode trank. Er stand insbesondere im Zusammenhang mit der Freimaurerei und nahm darüber hinaus an dem Orden der Templer von der strikten Observanz teil. Coué hatte schon 1767 in Wolfenbüttel einen lustigen Ritterorden gegründet. Als er nach Wetzlar übersiedelte, bildete er mit den beschäftigungslosen Juristen des Reichskammergerichtes die "Knopfmacherzunft".
Den Anlaß zur Gründung gab jedoch das Ritterdrama 'Gabriele de Bergh' von dem Legationssekretär und Schriftsteller Gotter, in welcher dieser die altfranzösische Sage vom gegessenen Herzen behandelt. Der Ritterorden entlehnt diesem Drama einzelne Ritternamen, welche von den Mitgliedern der Rittertafel angenommen wurden. So den Ritternamen Couci für den Gründer Coué.
Die Symbole, insbesondere der Ritterschlag, dürften dem Orden der Templer von der strikten Observanz entlehnt worden sein. Von diesem Orden wurde behauptet, daß er auf die Kreuzfahrer und hier vor allem auf die Tempelherren zurück ging und nach Auflösung der Tempelherren weiter fortbestanden hat. Die Ritter dieser Orden trugen nicht, wie die Freimaurer, den Schurz, sondern Schwert und Mantel und nahmen die Gebräuche der Ritterorden an. Die Rittertafel, welche Coué gründete, hatte jedoch nicht den ernsten Charakter, den der Templerorden hatte, sondern war vielmehr eine Parodie eines solchen.
Die Liste - quasi die Stammrolle - sämtlicher Mitglieder, von der Goethe spricht, wurde nie aufgefunden. Jedoch wurde von dem Wetzlarer Heinrich Gloel, der sich mit der Geschichte dieser Rittertafel äußerst liebevoll und eindringlich befaßt hat, rekonstruiert.
Gloel fand zwar nicht die erwähnte gedruckte Liste, aber ein geschriebenes Verzeichnis von A.S. von Coués Trauerspiel "Masuren", einer Parodie auf Goethes 'Werther'. Auf dem letzten Blatt dieses Trauerspieles hat ein Eingeweihter das Personenverzeichnis der Schauspieler nachgetragen. Darunter auch Goethe, unter dem Namen 'Götz'.
Äbtissin, Nonnen zu Altenberg
St.Albin...................................d'Auteil
Gr. Rethel...............................H v. Kiemannsegg
St.Armand..............................Leg.Sekr. Wanderer
Reinald...................................H. v. Schleinitz
Bemirsky................................Lieutn.Glebowsk
Baudrai...................................H. v. Königsthal
Euphrasia...............................Madame Bollmann
Bergh.......................................Capt. Dachtler
Fayel.........................................Leg.Sekr. Gotter
Windser....................................Lieutn. v. Breitenbach
Francisca.................................Geh.Sekr. Hertin
Mauvoisin................................Kammerh. v. Mengheim
Götz...........................................Lic.(=Lizentiat) Goethe
Levis..........................................H. v. Langermann
Lusignan..................................Geh.Rat v. Breidenbach
Der krimmische Gesandte...H.Ges. v. Höfler
Coucy........................................H. v. Coué
Der Referendarius..................H.Geh.Skr. Hert
Masuren....................................Leg.Sekr. Jerusalem
Reinbroek.................................H. Leg.Sekr. Kerkering
Nenette......................................Mademll. Fried. Döhler
Von den aufgeführten Rittern hatten neben Goethe die meisten künstlerische Ambitionen. So, der schon mehrfach erwähnte Hofgerichtsassessor Coué, und vor allem der Legationssekretär Gotter, den der Leg.Sekr. Johann Christian Kestner als "den vornehmsten unserer schönen Geister" nannte. Im Sommer 1772 wurde Gotter Heermeister des Ritterordens.
Daß der Humor nicht zu kurz kam, darf gleichfalls als sicher angenommen werden. Goethe sagt ja, sie stellten mit Geist und Munterkeit eine Rittertafel vor, er nennt die Teilnehmer muntere Leute, er sagt, es war ihnen zu tun, die Langeweile zu erheitern, kurz, er betont den heiteren Charakter der Rittertafel.
Interessant ist, daß in der Rittertafel, wie aus einer Stelle des Dramas "Masuren" hervorgeht, die Ansprache "Herrlichkeit" gebraucht wird.
Festzustellen ist somit der künstlerische und humoristische Charakter, den die Rittertafel in Wetzlar mit der Schlaraffia gemeinsam hat. Nicht feststellbar ist jedoch, ob diese Rittertafel auch andere ethische Absichten verfolgte, vor allem auch die Pflege der Freundschaft. Nichts deutet darauf hin. Die Ritter waren Kammeraden. Gewiß schloß sich der eine dem anderen freundschaftlich an, so Goethe Gotter, v.Kielmannsegg und Jerusalem, aber nicht wegen der Zugehörigkeit zur Rittertafel.
Das Fehlen der ernsten Idee im Ritterbunde, im Gegensatz zur Schlaraffia, mag vielleicht darin liegen, daß das Motiv der Gründer lediglich der Zeitvertreib war oder der Zeitverderb, wie Goethe sagt, und daß das Moment der Kurzweiligkeit während des nur kurzen Bestandes der Rittertafel - sie endete 1772, nachdem Coué Wetzlar verließ - nicht durch ein anderes Element ausgelöst werden konnte.
Anders bei der Schlaraffia. Schon die Gründer beabsichtigten nicht bloß eine Gesellschaft für den Zeitvertreib zu gründen, sondern sie gaben diesem Bunde mit die hohe Aufgabe, neben dem Humor und der Kunst, vor allem die Freundschaft zu pflegen. Und gerade dieser Freundschaftsgedanke ist Grund für die stetige Ausbreitung Schlaraffias über den ganzen Erdenball.
Ob die Wetzlarer Rittertafel einen Einfluß auf die Entstehung der Schlaraffia hatte ist nicht nachvollziehbar. Zumindest ist in der Entstehungsgeschichte der Schlaraffia kein Anhaltspunkt dafür zu finden.
Es gibt in der Kulturgeschichte der Menschheit gewisse Ideen, die immer wiederkehren, deren Realisierung vielmals fehlschlägt, bis sie endlich die richtige dauernde Verkörperung findet. So auch die Idee der romantischen Fiktion des Rittertums im humoristischen Gewande. So wurde der Assessor Kanzler, ein Botschaftsbeamter Heermeister u.s.w. Diese romantische Fiktion konnte jedoch von gebildeten Leuten nicht ernst genommen werden. Der Gegensatz Assessor = Kanzler, Botschaftsbeamter = Heermeister konnten nur durch Humor gelöst werden.
So war es auch im Jahre 1859, als in Prag einige kunstliebende Mitglieder und Künstler des Deutschen Theaters daran gingen, die romantische Fiktion des Rittertums zu neuem Leben erwachen zu lassen. Ganz im Einklang mit dem Zeitgeist versetzten sich auch die Schlaraffen, durch Überstreifen einer völlig unwirklichen und wahrhaft närrisch anmutenden 'Ritterrüstung' und durch die Nachahmung gewisser ritterlichen Gebräuche, wenigstens zum Schein in die edle und tugendhafte Welt des Mittelalters, um aus dieser gemimten Erhabenheit alle Torheit und Niedrigkeit, alle Hohlheit und Falschheit der Profanei zu verspotten und zu bekämpfen.
Sie verlegten mit Wirkung vom 1.1.1871, im Gedenken an den 'letzten Ritter' Kaiser Maximilian I., die Zeit um 300 Jahre zurück, und erklärten das Jahr 1559 zum Gründungsjahr. Dies mußte jedoch recht bald wieder rückgängig gemacht werden. Bei der Erkürung von Heroen war nämlich die zurückdatierte Zeitrechnung vielfach nicht anwendbar.
Man hatte am 20.3.1575 (=1875) Johann Wolfgang von Goethe zum ES Faust erküret, und wahrlich kann nicht jemand ES sein, der erst rund 200 Jahre später geboren wird (*28.8.1749 +22.3.1832). Und so beschloß das V. Allschlaraffische Concil zu Vindobona (vom 4.-6.4.1898) das Gründungsjahr 1859 mit a.U.1 zu bezeichnen; es entstand die heutige Zeitrechnung der Schlaraffia.